Zur Zeit könnte man sagen : wir grooven uns ein. Bis zu den Sommerferien lebten die Kinder bei ihrem Vater und der Tag folgte allein meinen Regeln und meinen Terminen und Arbeitszeiten. Nun aber organisiere ich das Leben von 4 Menschen und das ganz ohne Auto oder familiäre Unterstützung. Und ja ich gebe zu, dass es Tage gibt, an denen ich fast glaube, zusammen zu brechen. Aber diese Momente gehen vorbei und dann bin ich wieder voll ok, entspannt und wach. Zwischen all dem Chaos finde ich auch Zeit für mich. Im Grunde finde ich sie nicht, ich nehme sie mir. Das geht natürlich nicht, ohne dass dafür etwas anderes zurück bleibt und meistens ist das dann eben der Haushalt. Aber wem will ich etwas beweisen? Meine Freunde kennen mein Chaos und stören sich nicht daran. Und wenn es nach den Kindern geht, würden wir garnicht aufräumen. Zu ihrem Leidwesen kenne ich da allerdings kein Pardon - ihre Hosen und Shirts haben nunmal nichts auf dem Boden zu suchen und eine saubere Küche ist der Gesundheit zuträglich.
Wenn ich dann in ein paar freien Stunden aber doch ausgiebig putze, freue ich mich über diese Zeit. Nein, ich putze nicht gern, aber ich habe gelernt, das Wertvolle in dem Notwendigen zu sehen. Beim Putzen habe ich Zeit für meine Gedanken, den philosophischen und den Tagträumen. Das, wozu ich am Ende des Tages, wenn ich endlich Freizeit habe, nicht mehr die Energie habe. Und dann beschleicht mich das Gefühl, die Welt bewegen zu können. Mir kommen Ideen zu Songs, Bildern oder anderen Dingen, die das Leben schöner machen. Das ist Freiheit. Die Freiheit, sich in seinen Gedanken, Hoffnungen, Träumen und Sehnsüchten zu verlieren, Pläne zu schmieden und dann , wenn es soweit ist, sie auch umzusetzen.
Das Leben ist nicht leicht, aber es ist nicht die Summe seiner Umstände, sondern die Summe der Möglichkeiten, die wir sehen und ergreifen. Und deshalb bin ich zwar müde und erschöpft, aber ich bin ok.
Bei der Predigt am Sonntag sprach unser Pastor davon, dem heiligen Geist die Kontrolle zu überlassen. Gebt die Kontrolle ab, lasst ihn hinein, lasst ihn in euch wirken. Diese Sätze klangen schön und beängstigend zugleich und in mir regte sich gleich ein starker Widerstand. Wie soll das gehen? Ein Leben lang wird uns erklärt, dass wir die Kontrolle erlernen, übernehmen und beibehalten sollen. Unser Verhalten - kontrolliert, unser Denken- kontrolliert, unsere Gefühle- kontrolliert. Das ganze nennt man dann Verantwortung übernehmen und verständig sein. Wenn nun einer sagt, lasst das, was ihr stets geübt und angewendet habt, was euch als richtig und der wahre Weg verkauft wurde, bitte sein und lasst die Kontrolle etwas anderes übernehmen, ist das mehr als beängstigend, ja beinahe unverständlich.
Erst neulich habe ich gelesen: "Kontrollierst du deine Gedanken, oder kontrollieren sie dich?" Wenn ich die Kontrolle über meine Gedanken übernehme, lasse ich mich nicht von ihnen verleiten. Ich schätze mich davor, mich selbst runter zu ziehen, negative Gefühle zu erzeugen und die Welt durch eine dunkle Brille zu sehen. Wenn ich diese Kontrolle nun abgebe - stürzt dann nicht die absolute Finsternis und das Chaos über mich hinein?
Mir fällt immer wieder auf, wie alles, was mit meinem Glauben zu tun hat, einander bedingt. Die Kontrolle abgeben kann ich nur, wenn ich darauf vertraue, dass mir kein Schaden widerfährt. Vertrauen baut darauf, die Kontrolle abgeben zu können, aber auch verzeihen zu können, denn wenn ich jemandem nicht vergeben kann, werde ich immer wieder erwarten, dass er mir schadet - das Vertrauen gibt es nicht mehr. Wenn ich so darüber nachdenke, wird mir klar, dass Gott drei ganz besondere Dinge von mir fordert - Vertraue, entlasse die Kontrolle und vergebe. Es sind drei unglaublich wichtige Eckpfeiler, die unser Leben bestimmen. Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen beruhen darauf und sie werden schwer und machen uns verwundbar, wenn wir nicht auf diese 3 Eckpfeiler bauen.
Wenn ich sagen müsste, was davon mir am leichtesten fällt, dann würde ich sagen: Vergebung. Grundsätzlich erachte ich mich nicht als nachtragenden Menschen und ich habe viel Heilung durch Vergebung erfahren. Und doch gibt es nach wie vor Dinge, die ich noch nicht vergeben konnte - sowohl mir nicht als auch Gott nicht. Und vielleicht liegt hier auch eine Verbindung zur Kontrolle - solange ich nicht vergebe, kontrolliere ich die Beziehung, und ich verharre in den vertrauten negativen Gefühlen, die mir sicherer erscheinen, die ich so gut kenne. Wenn ein Mensch viel erlebt, viele Verletzungen erfährt, Trauer, Wut und Schmerz sehr gut kennt, wird es immer schwieriger, sich zu öffnen und zu vertrauen, denn Verletzung möchte niemand je wieder erfahren und siegeschehen oft da am meisten, wo wir Menschen vertrauen, die wir ganz besonders lieben. Genau da trifft es uns am härtesten, wenn der andere Unrecht an uns tut oder unsere Erwartungen nicht erfällt. Dort fallen wir am tiefsten, dort liegt aber auch das grte Potential für Vergebung, Wachstum und Glück.
Jesus hat mir zuletzt gezeigt, wie sehr er mich liebt - eine vollkommen neue Erfahrung, die nicht nur froh macht, sondern auch ängstigt. Meine weltliche Erfahrung ist nämlich, dass alle Gute endet und ich kann nicht begreifen, dass das Gute in Jesus nie enden wird. Ein Teil von mir möchte wegrennen, aufgeben, das alte Leben aufnehmen. Seitdem ich wieder glaube, und das mehr als je zuvor, erscheint mir alles noch anstrengender. Mein Kopf rotiert ohne Unterlass, ich habe das Gefühl, an diesen Gedanken, diesem Chaos, dem Lärm zu zerbrechen. Ich möchte wegrennen davor, meine Beziehung zu Gott aufgeben in dem Empfinden, es würde dann leichter. Dann müsste ich mein Verhalten nicht hinterfragen, mich nicht mit so vielen Themen beschäftigen, die mir aufzeigen, wo Wunden, Vernachlässigung und Entfremdung herrschen.
Doch als ich am Sonntag die Kirche betrat und das Präludium erklang, fiel alles von mir ab. Ich weinte, weil ich endlich zu Hause war, an einem Ort, an dem ich mich ganz Gott zuwenden konnte und ich betete, er möge mich von all den Alltagsgedanken befreien und ganz in Gemeinschaft mit mir sein. Und als ich gestern das erste warme Wetter nutzte, mich in die Natur begab, da fiel soviel Last von meinen Schultern. Ich gab mich hin, der Wärme der Sonne, der beruhigenden Wirkung der Natur -seiner Schöpfung, die erfällt ist von seiner Kraft und Liebe. Hierin liegt die Ruhe, hierin liegt seine Kontrolle und ich war frei. Gott will mir keinen Kummer bereiten, er will mich befreien. Und ich beginne zu begreifen, dass diese hektische, auf Leistung und Kontrolle angelegte Welt es ist, die mich auffrisst. Es sind nicht Gedanken über Jesus und den Glauben, es sind die vielen falschen, schadhaften Denkmuster, mit denen ich aufgewachsen bin und die mir so sehr in Fleisch und Blut übergegangen sind.
Wer weiß nun, wie lang es dauert, den Boden aufzubrechen, der sich über mir geschlossen hat. Vielleicht ein Leben lang. Doch ich bin voller Zuversicht, dass Jesus mir helfen wird, mich hinaus zu graben. Bis ich das Licht erreiche, das über der Erde liegt.
Ein Mensch mit Nomadenherz jedoch ist anders. Getrieben und gewissermaßen launisch pendele ich von links nach rechts, immer darauf bedacht, niemals still zu stehen. Das macht ungeduldig. Wer viel erreichen möchte, ist sich der begrenzten Zeit seines Daseins hier auf Erden schnell bewusst und bekommt Angst. Wie viel Zeit bleibt mir noch, um zu werden, was ich sein will? Um zu erreichen, was ich erreichen will? Am liebsten hätte ich gleich alles auf einmal. Natürlich bringt das zum Stolpern. Selbst Superhelden haben ihre privaten Probleme. Die muss man sich allerdings auch erst einmal erlauben.
Als ich meinen Glauben vor einigen Monaten wieder fand - oder besser gesagt: er mich - da wollte ich auch alles auf einmal. Antworten auf all meine Fragen und am besten nicht nur gleich wissen, welchen Plan Gott mit mir hat, sondern ihn auch noch direkt umsetzen. Ich fühlte, dass 2018 Großes verheißen würde. Nun ist es Februar und ich habe nur wenige Antworten erhalten und seinen Plan kenne ich immer noch nicht. Doch wann immer ich etwas an ihn abgebe, fühle ich mich erleichtert in dem Wissen, dass er mich trägt. Ich brauche mich gar nicht so sehr anzustrengen, denn was geschehen soll, wird es auch. " Er wird deinen Fuß nicht wanken lassen, und der dich behütet, schläft nicht." (Psalm 121, 3)
Vertrauen und Geduld waren schon immer Schwachpunkte von mir und ich vergesse immer wieder, dass ich alles, was mich treibt, vor Gott bringen kann. Er wird mir zur Seite stehen und mich leiten, wo immer ich auf dem richtigen Weg bin. Und die Zeit, die manchmal elendig lang und dann wieder viel zu kurz erscheint sollte ich als meine Freundin betrachten, denn sie ermöglicht es mir, mich zu entwickeln und im Leben voran zu schreiten.
Sich selbst Zeit zu geben, bedeutet, sich selbst zu achten, zu entschleunigen und Raum für Heilung und Erkenntnis zu schaffen.
Und vielleicht werde ich eines Tages ein erstaunlich geduldiger Mensch sein.
Und so uneilig wie eine Schneeflocke. Der Gedanke gefällt mir wirklich sehr.
Später hat es mich dann noch in eine Buchhandlung gezogen, wo ich ein Buch fand, das sicher keine Neuentdeckung ist, für mich aber sehr interessant. "Mach mich fertig" steht auf dem eher schlichten Einband. Ich bewundere Keri Smith für soviel Verrücktheit, denn im Grunde soll dieses Buch zu merkwürdigen, verrückten, abwegigen, teilweise auch mal ekligen Handlungen verführen., die das Buch am Ende recht zerstört zurück lassen werden. Schon der Blick in das Buch war irgendwie inspirierend. Tu etwas, was du nie tun würdest. Sei einfach mal anders. Jedenfalls entlockte mir das Schmökern einige verschmitzten Lächeln und ich nahm das Buch mit, um mein ganz persönliches kleines Projekt daraus zu machen. Was passiert, wenn man ganz konsequent verrückte Dinge tut ? Bewegt es mich, verändert es mich, macht es mich glücklich? Vielleicht ist es nur ein Buch, und am Ende passiert - nichts. Doch ausprobieren kann man es.
Eine Seite hab ich schon abgefackelt. Also nein, das war ein Feuerteufel. Verantwortungsbewusste Menschen wie ich zünden keine Bücher an. Wie befreiend. Für einen kurzen Augenblick fragte ich mich tatsächlich, was ich da gerade tue und was, wenn die Seite viel zu schnell Flammen schlägt ? Nur wenige Sekunden später erlosch die kleine Flamme jedoch von selbst. Auch eine Lektion - man macht sich einfach viel zu oft unbegründete Sorgen. Muss man wirklich immer auf jeden Fall vorbereitet sein ?
Vermutlich reizen mich solche Spielereien, weil ich mir manchmal selbst so unglaublich erwachsen und ernst vorkomme. Weil ich jeden Tag arbeiten gehe, um mich und meine Kinder zu ernähren, meine ganzen Aufgaben und Termine und Freundschaften um meine Arbeitszeiten herum drapiere, manchmal nicht weiß, woher ich mir die Zeit nehmen soll und mittendrin auch noch irgendwie einen Moment für mich ergattern möchte. Immer wieder sage ich Sätze wie :" damit muss ich mich unbedingt mal näher befassen." Oder : "Ich muss dringend wieder Sport machen." und eine Kollegin sagte neulich : "Du müsstest so vieles." (Mit diesem Unterton in der Stimme : Ich weiß, dass du möchtest, aber du kannst nicht, akzeptier das. )
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Daraufhin frage ich mich wieder, wie andere Menschen das bewerkstelligen. Können sie soviel besser mit ihrer Zeit, mit ihrer Energie und ihrer Begeisterung haushalten ? Und was bleibt bei ihnen auf der Strecke?
Es ist manchmal so schwer, Prioritäten zu setzen, wenn die Welt so verheißungsvoll lächelt und wartet, mit all dem Wissen, das man sich aneignen könnte, all den Dingen, die man tuen könnte. Und noch dazu schwant das gesellschaftliche Credo über die notwendigen menschlichen Fähigkeiten und Tätigkeiten unheilvoll über unseren Köpfen. Wie oft hört man : "Es geht alles, ich bekomm das ja auch hin." oder "Du musst einfach besser planen."
Verdammt, ich gebe auf. Wer sind denn diese anderen Menschen, diese überwesen, die einfach alles hinbekommen und mit dem Finger auf mich zeigen dürfen ? Und warum nur tue ich mir das an ? Immerhin wissen die Menschen, die mir nahe stehen, manchmal besser als ich, was ich alles leiste. Es sollte mir genügen, denn nur das zählt wirklich. Die, die ich liebe. Die, die mich lieben. Ich führe also weiter mein Büchlein über all die Themen, die mich interessieren,mit denen ich mich eines Tages befassen werde. Mache Listen über Unternehmungen, die ich plane. Der richtige Moment wird kommen. Und wenn nicht, dann sollte es nicht sein. Denn dass ich tatenlos bleibe, kann man mir jedenfalls nicht nachsagen. Bis hierhin sind wir gekommen. Und weiter werden wir gelangen.
Es drückt, tief in mir. Es ist alles ok, ich bin gesund; es sind die Sorgen, die nagen, Konflikte, die nicht ausgesprochen werden und Veränderungen, die mich von Vertrautem entfernen. Es tut richtig weh, und es ist leider berechtigt. Teilweise. Manches fällt vielleicht unter die Kategorie "selbstgemachte Dramen" , anderes sind reale Probleme und diese beiden Seiten muss ich noch auseinandersortieren.
Der Kaffe schmeckt dünn.
In Gedanken gehe ich nocheinmal alles durch. Die Möglichkeiten. Die Verzögerungen, entstanden durch mein Hadern. Nach 27 Jahren Wachsen und Lernen fallen mir manche Verantwortungen des Erwachsenendaseins immer noch sehr schwer. Auch wenn ich weiß, dass ich mich nur umzusehen brauche, um zu bemerken, dass es wohl fast jedem Menschen so geht, fühle ich mich in dieser Hinsicht klein.
Neben mir liegt die durchgebrochene Halterung meiner Gardinenstange. Ob die Hitze das Plastik hat spröde werden lassen oder das Material bereits einen Fehler hatte, weiß ich nicht, doch ich sehe die glatte Bruchstelle und bin ein wenig erstaunt, wie dieser Bruch, dieses Kaputtsein irgendwie perfekt und schön wirkt. Die Perfektion in etwas Zerbrochenem, die mich daran erinnert, dass Umbrüche wichtig sind, notwendig für Entwicklungen, Verbesserungen, Neuerungen. Sonst bliebe das Leben stehn, und wir mit ihm. Wären wir dann noch wirklich existent oder würden wir dann nicht nur vor uns dahinsiechen?
Wenn man sich verändert und das vertraute Leben einem neuen weicht, ist das schön und beängstigend zugleich. Derzeit fühle ich mich oft allein. Ich kenne so viele wundervolle Menschen und habe doch nicht das Gefühl, ihnen gerade sehr nah zu sein. Ich weiß nicht genau, was es ist, das diese Trennung herbeiführt, aber es soll wohl so sein. Ich spüre, dass ich mich nach etwas sehne, was ich derzeit nicht finde, obwohl ich das, was ich habe , unglaublich schätze und liebe. Aber dort draußen, in diesem großen, aufregenden Leben, wartet etwas auf mich. Und ich gehe mit kleinen, manchmal verzagten Schritten darauf zu. Vermutlich muss ich dafür loslassen, was mich für eine Weile begleitete - manche Freundschaften, manche Besitztümer, manche Ansichten, Erinnerungen und Empfindungen.
Es fehlen die Worte, um all das auszudrücken, was mich derzeit bewegt. Der Unwille gegenüber Menschen, die sich ihre Dramen beinahe zwanghaft suchen, aber auch die Frage, ob ich nicht manchmal mit meinen Ansichten darüber falsch liege (und das tue ich ganz sicher). Wieviele Ängste mich immer noch im Griff haben und wie ich mir gleichzeitig so sehr bewusst darüber bin, dass ich sie überwinden können müsste. Wie ich mit Menschen und ihren ganz eigenen Glaubensansichten umgehen soll. Wie kann ich mich als tolerant bezeichnen und gleichzeitig eine vollkommen andere Ansicht vertreten, ohne die Ansichten des anderen herabzuwürdigen? Wie gehe ich mit meinen Pflichten um und darf ich mich bemerkbar machen? Oder muss ich unsichtbar bleiben, möglichst wenig Spuren hinterlassen, um jah niemanden zu stören?
Und was fühle ich? Was bloß schlägt mein widerspenstiges Herz?
Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus. Und ich nehme mir heraus, auch mal einen Tag schlecht drauf zu sein. Dass ich eine positive Grundeinstellung zum Leben habe, voller Dankbarkeit bin und aus allem letztlich das Beste mache, muss ich niemandem mehr beweisen. Wenn mir jemand sagt: " Seh nicht alles so negativ", höre ich nicht hin oder versuche es wenigstens, denn die Wahrheit ist: es ärgert mich. Es ärgert mich so sehr, weil ich das Gefühl habe, ich solle immerzu positiv und optimistisch sein, was realistisch betrachtet unmöglich ist. Und vielleicht stt es deshalb an, weil ich beide Seiten "laut" lebe. Beides gehört zu mir : die guten und die schlechten Tage, Optimismus und Verzweiflung, Traurigkeit und Lebensfreude. Und ich möchte es nehmen, wie es kommt.
Darum drücke ich auf Play, höre "Shoulda" von Jamie Woon in Dauerschleife und lasse mich für eine Weile von dem Gefühl mitreißen, das dabei entsteht. Weil ich morgen wieder lachen werde. Und um ein paar Antworten reicher sein.
27 Kisten habe ich heute in die neue Wohnung getragen. Jede für ein neues Leben. Es sind nicht viele und auch nur ein Teil meines Hab und Gut, doch mit jeder einzelnen wurde mein Leben ein wenig reicher.
Ich kann sie beinahe einatmen, die Hoffnung und die Vorfreude.
Das Haus wird leerer, mein Herz voller, alles wird anders und irgendwie besonders. Ein Umzug ist nichts romantisches, sondern harte Arbeit und Chaos, aber ich weiß, was diesem Chaos entspringen wird.
Ich lasse kostbare Fracht in diesem Haus. Ein Teil von mir, wertvoll und unersetzbar, aber nicht verloren.
Derzeit erscheint mir mein Leben etwas konturlos. Es ist alles ungeformt und neu, die weißen Wände müssen erst mit Farbe versehen werden. Ich habe mich im Lauf der letzten Monate von manchen Menschen zurückgezogen und einige wenige neue dafür in mein Leben gelassen. Jetzt gerade gibt es nur ganz wenige Personen, die mir wirklich nahe stehen und wissen, was in mir vorgeht. Und diese nehme ich mit in mein neues Reich, in Dankbarkeit und Liebe, weil sie so großartige Persönlichkeiten sind. Meine Freunde.
Gestern sah ich mir alte Bilder an. Erinnerungen, schöne, vergangene Momente eines früheren Lebens. Dabei stieß ich auf die, die ich jetzt gerade gerne vergessen würde, weil sie wehtun, immernoch.
Diese eine Erinnerung. Dieser eine Mensch, mit dem ich meinen Neuanfang nicht teilen kann.
An diesem Tag hatte ich meine Haare hochgesteckt. Es war kalt und wir hatten uns länger nicht gesehn. Als ich die Treppe vom Bahnsteig herunterstieg und Du mich ansahst, leuchteten deine Augen und Du sagtest: "Wow, Du siehst toll aus."
Auf dem Weg zu Dir nach Haus blicktest Du immer wieder zu mir herab, als würdest Du dich vergewissern wollen, dass ich noch da bin. Ich konnte die Blicke nicht deuten, wollte auch nicht hoffen, dass sie das sagten, was ich darin zu lesen glaubte... Unsere Beziehung zueinander war so zart und fragil, dass ich nie wusste, was echt war und was meinen Wünschen entsprang.
Wir hatten das schönste Date, den tollsten Abend und als ich Dir am nächsten Morgen sagte, dass ich in Dich verliebt bin, hast Du meine Worte erwiedert.
Das war der Moment, in dem ich losließ, meine Ängste zum Teufel jagte und mich auf meine Gefühle für dich ernsthaft einließ. Mir war nie klar, wieviel ich für Dich empfinden würde und als ich es wusste, war es bereits zu spät, denn Du hattest Dich bereits entschieden, nichtmehr Teil meines Lebens zu sein.
Und ich sei Dir wichtig als Mensch, sagtest Du. Aber ich war nie wichtig genug, um Deine Ängste zu überwinden. Um wenigstens von Dir aus ehrlich zu mir zu sein, ohne dass ich aus Dir herauskitzeln musste, woran ich bei Dir bin.
Du hattest recht. Du warst nie der Richtige für mich. Wir waren nie richtig füreinander.
Ich habe herausgefunden, was ich an Dir nicht mag und Du hast mir genug Grund gegeben, wütend auf Dich zu sein. Es ist nicht so, dass ich dich vermisse. Ich durchlebe jeden gemeinsamen Moment nocheinmal, wenn ich Dinge tue, die wir gemeinsam taten, Orte betrete, die wir zusammen betreten haben. Es wird vergehen. Was schmerzt ist die Gewissheit, dass Gefühle allein nicht ausreichen, kein Kompliment, keine Anstrengung. Du hättest mich niemals lieben können so wie ich Dich in dieser kurzen Zeit. Niemand kann etwas dafür. Vermutlich wäre es leichter, könnte ich Dir dafür die Schuld zuweisen. Wir hatten einfach nur Pech.
Und wo auch immer Du gerade bist, was auch immer Du tust und wen Du auch liebst - lass es richtig sein. Sei glücklich und frei und genieße jede Sekunde deines Lebens, wachse an den Herausforderungen, die Dich zu Boden werfen und sei großartig. Bitte tu das für Dich. Du hast es verdient.
Ich packe ihn ein in die Kiste mit den Erinnerungen an geliebte Menschen, die sich aus meinem Leben gestohlen haben. Kiste 28. Von sovielen. Soviele, die es bereits gibt, soviele, die noch folgen werden. So führe ich mein Kistenleben, mit allem, was war und allem, was ist. Und wenn es Zeit wird, öffne ich sie und entlasse den Inhalt in die Freiheit. Hin und wieder ist es gut, den Inhalt seiner Kisten ziehen zu lassen. Loszulassen. Zu entrümpeln.
Ich betrachte die Fotos, klicke eines an und drücke - auf Delete.
Hin und wieder berührt mich die Stimme eines Menschen so sehr, dass sie vordringt zu den emotionalen Tiefen, die ich sorgfältig in Kisten gepackt und weggestellt habe. Dann läuft ein Lied oder ein Album Stunde um Stunde, Tag für Tag und manchmal sogar für Wochen auf Repeat und jeder Ton fällt mich aus bis in den letzten Winkel meines Bewusstseins- bis sich die Lieder in meinen Träumen wiederholen.
Es gibt nicht viele Menschen, die eine solche Stimme besitzen, und noch seltener begegne ich ihnen. Doch genau das geschah vor 2 Monaten, als ich gerade verzweifelt und unglücklich war und mir nicht vorstellen konnte, dass ich bald wieder lachen würde. Ich hatte lange auf den Tag gewartet und obwohl mir weder nach Gesellschaft war, noch nach einem Konzert, setzte ich mich in den Zug nach Hamburg und begab mich zu einem besonderen Konzert.
An diesem Abend konnte ich ein paar Worte mit dem Sänger wechseln. Ich weiß nicht, warum ich ihm meine kleine Geschichte erzählte; vielleicht, weil mir Smalltalk nicht liegt und Fragen zu stellen ebensowenig und ich doch etwas sagen wollte. Vielleicht aber auch, um diesem Menschen, der mich durch seine Stimme, seine Lieder, aber auch seine Art, sein Gefühl für Musik so intensiv nach außen zu tragen, tief berührt hatte und somit Teil meines Lebens und Empfindens geworden war, ein Stück von mir zu geben. Zu sagen : ich bin hier und das ist meine Geschichte, die du mit deinem Lied erzählt hast.
Er sah mich an mit Gewissheit in den Augen und sagte einen simplen Satz, der mich seither begleitet und immer wieder aufblitzt, wenn es nötig ist:
You'll be fine!
Dieser simple Satz trägt eine Wahrheit in sich, die mich immer wieder verblüfft.
Wie oft hören wir "Alles wird gut" und fühlen uns verhöhnt, so alt und ausgelutscht klingen diese Worte, die wie ein verzweifeltes Dogma über uns schwingen, als wüssten wir bereits, dass es nicht stimmt.
Und je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger glaube ich, dass alles gut werden wird. Aber ich weiß, dass es mir gut gehen wird. Weil ich bereit bin, zu reflektieren, die Persektiven zu ändern und eine Haltung anzunehmen, die es mir erlaubt, aus all den schweren Situationen, den Problemen, den Prüfungen und Katastrophen etwas für mich herauszufiltern, das mich bereichert und wachsen lässt. Letztlich bin ich ein priviligierter Mensch. Es gibt soviel Leid, das ich vermutlich niemals erfahren muss und ich trage eine tiefe Ehrfurcht und Dankbarkeit für dieses Glück in mir. Und auch wenn es über manches nicht hinweg tröstet, habe ich am Ende ein Dach über dem Kopf, Essen im Kühlschrank, unglaublich tolle Kinder und Freunde,eine Arbeit und einen wachen Verstand. Und das ist so unglaublich viel mehr als ein enormer Anteil an Menschen je besitzen wird.
Es wird mir gut gehen, weil ich es mir und eben jenen Menschen schuldig bin, das Beste aus jeder Situation herauszuholen. Ich will glücklich sein und die Verantwortung für mein Leben, mein Handeln, Denken und Empfinden, liegt in meiner Hand.
Das spüre ich mehr denn je in den letzten Wochen und Monaten meines sich verändernden Lebens. Das Neue, Ungewohnte, eilt auf schnellen Schwingen heran. Ich werde nun mehr als in den Jahren zuvor auf eignen Beinen stehen und dabei vermutlich noch oft gehörig stolpern. Die neuen Herausforderungen sind ebenso beängstigend wie spannend und ich liebe mein Leben für diese Herausforderungen, die mir meine Grenzen und Fähigkeiten gleichermaßen aufzeigen. Vermutlich werden viele Tränen fließen und ich werde mich fragen, ob meine Entscheidungen die richtigen waren. Ich werde glücklich sein, in Momenten, in denen alles einen Sinn ergibt. Und das schönste ist: All das werde ich mit wundervollen Menschen an meiner Seite er- und durchleben.
Und wenn mir wieder einmal jemand gutgemeint die Hand hält und sagt: "Alles wird gut!" werde ich lächeln und sagen : "Nein, vermutlich nicht. Aber es wird mir gut gehen."